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Filmbilder stecken in einem strengen Zeitkorsett. Sie werden in einer fixen Folge abgespielt, wodurch bei Zuseher*innen der Eindruck von Bewegung und Geschichte entsteht. So mancher Fernsehfilm scheint wichtige Informationen und Details geradezu überdeutlich zu präsentieren und zu wiederholen, als könnte er der Konzentration des Publikums nicht ganz trauen. Bei der Betrachtung von Fotografie oder Malerei hingegen erschaffen wir uns die Zeitachse selbst. Unser Auge springt frei zwischen bestimmten Punkten und Stellen, schafft sich seine eigenen Wege, die wir kaum bewusst wahrnehmen.
Im Kinoraum wird das Publikum auch physisch der Zeit ausgesetzt. Der Raum wird abgedunkelt, der Körper in einen Sessel gepresst. Unser körperlicher Bewegungsradius verkleinert sich, der Geist wird weich. Das ändert sich durch digitale Medien: Die Steuerelemente an Videorekordern und Online-Plattformen geben uns Zugriff auf die Timeline. Wir können zehn Sekunden nach vorne und hinten springen, einen Clip wiederholen oder in zweifacher Geschwindigkeit abspielen. Als Betrachter*innen nehmen wir die filmische Chronologie selbst in die Hand.
Auch in einer Ausstellung können Besucher*innen die Timeline eigenständig verschieben – nicht durch manuelle Eingriffe in eine Video-Timeline, sondern durchs freie Flanieren im Ausstellungsraum. Die körperliche Präsenz und Bewegung der Besucher*innen lässt eine individuelle Chronologie der Arbeiten entstehen. Jede*r entscheidet über subjektive „In- und Outpoints“ und die gewünschte Betrachtungsdauer.
In den gezeigten Filmen geht es genau um diese vielschichtige Beziehung zwischen Bewegung, Kameraführung und Schnitt. In den Einzel- und Gemeinschaftsarbeiten von Simona Obholzer, Marlies Pöschl, Olena Newkryta, Pille-Riin Jaik, Daniel Hüttler, Klaus Rabeder und Janina Weißengruber verdichten sich konzeptuelle visuelle Techniken, poetische Bildkompositionen und strategische Kameraführungen.
Die Mitglieder der Golden Pixel Cooperative beschäftigen sich seit vielen Jahren intensiv mit Bewegtbild. Dabei reflektieren ihre Arbeiten immer auch das technologische und kulturelle Medium Film. Ebenso setzt sich die Medienwerkstatt seit den frühen 1980er-Jahren mit Video und technischen Entwicklungen kritisch auseinander. Der Raum bietet daher ein ideales Terrain für dieses Ausstellungsprojekt.
„1989–1997“ von Simona Obholzer ist ein künstlerischer Kurzfilm, der ein leerstehendes Schulgebäude im Herkunftsort der Künstlerin dokumentiert. Seit dort 2020 ein neuer Schulcampus errichtet wurde, steht das Gebäude leer. Obholzer, die in ihrer Kindheit die Schule acht Jahre lang besuchte, begibt sich erneut in das Gebäude, dessen leere Räume einst von Schüler*innen, Lehrenden und zahlreichen Konflikten geprägt waren. Sie registriert die institutionelle Schularchitektur und ihre autoritären Codes. Der Film erzählt von den Erfahrungen und Erinnerungen der Schülerin, andererseits von der reflektierten Perspektive der erwachsenen Künstlerin. Damit werden zwei Zeitabschnitte in einem Film verzahnt.
In „Der weiße Bereich“ (2022) nimmt Marlies Pöschl die Betrachter*innen mit auf ihre Reise ins französische Gebirgsmassiv Vercors, zur 76-jährigen Jill Denton. Jill erlebt sich als elektrosensitiv und verzichtet auf moderne Technologien, da diese sie krank machen. Um sich wohlzufühlen, erschafft sie sich jeden Tag aufs Neue eine „zone blanche“ (weißer Bereich) in ihrem Wohn- und Lebensraum. Im Französischen bezeichnet „zone blanche“ ein Funkloch, beziehungsweise einen Bereich ohne elektromagnetische Strahlung. Jill erledigt alltägliche Besorgungen und besucht ihre Freunde in einem 40 Minuten entfernten Dorf. Mitunter sucht sie stundenlang nach Orten, an denen sie keine elektromagnetische Strahlung verspürt. Aus Respekt vor der Sensibilität ihrer Protagonistin arbeitet die Filmemacherin mit einer aufziehbaren 16 mm Beaulieu-Kamera. Die hyperrealistische Tonebene wurde komplett im Studio erschaffen. So spürt der Film den Kraftfeldern in Jills Lebensgeschichte ästhetisch nach und holt eine anachronistisch interpretierte Lebensform in eine von Internet, Smartphones und GPS durchdrungene Gegenwart.
Der experimentelle Film „Freedom in the Present Past“ (2024) ist ein kollektiver Film von Daniel Hüttler, Pille-Riin Jaik, Klaus Rabeder und Janina Weißengruber. Die Arbeit porträtiert vier alte Gebäude im ländlichen Raum und ihre heutigen Bewohner*innen – gefilmt wurde in Székesfehérvár (HU), Lümandu (EE, Estland), Waizenkirchen (AT) und Gresten (AT). Wir erleben einen Bauernhof, dessen bewirtschaftbares Land mit Giften kontaminiert ist. Eine Waldscheune mit eingestürztem Dach, die zu einem neuen Lebensraum wird, und ein Familienhaus voller sowjetischer Geschichte und sozialistischer Träume. In einem ehemaligen Familienunternehmen in Waizenkirchen steht mit weißem Stift geschrieben: „Die Zeiten ändern sich. Die Zeiten ändern dich.“ Durch die Geschichten und Erinnerungen der Bewohnerinnen und die assoziativen Verknüpfungen von Gebäuden im „postsozialistischen Raum“ und dem „ehemaligen Westen“ wird ein gemeinsamer Raum eröffnet, der zeigt, was „ländliches Europa“ heute sein könnte.
In „Ruins in Reverse“ (2020) dokumentiert Olena Newkryta die Zersetzung eines sowjetischen Wohnblocks in der südlichen Ukraine. Aus dem leerstehenden Bau werden seit Jahren Ziegelsteine und andere Baumaterialien entnommen und für persönliche Bauprojekte verwendet. Darin spiegelt sich das Verhältnis zwischen sowjetischen Infrastrukturen, die den Alltag nach wie vor prägen, und den massiven politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen seit den 1990er-Jahren. Newkrytas Filmessay folgt den Spuren privater Biografien und vergangener Ideologien, die in der Ruine eingeschrieben sind. Die Überführung des Baumaterials aus dem sowjetischen System in neue Architekturen zeigt Prozesse der materiellen Aneignung und Wiederverwendung, zwischen bröckelnder Vergangenheit und aktiver Zukunftsgestaltung.








2K, AT/EE/HU 2024, 24 min.
Der experimentelle Film „Freedom in the Present Past“ ist ein kollektiver Film von Daniel Hüttler, Pille-Riin Jaik, Klaus Rabeder und Janina Weißengruber. Die Arbeit porträtiert vier alte Gebäude im ländlichen Raum und ihre heutigen Bewohner*innen – gefilmt wurde in Székesfehérvár (HU), Lümandu (EE, Estland), Waizenkirchen (AT) und Gresten (AT). Wir erleben einen Bauernhof, dessen bewirtschaftbares Land mit Giften kontaminiert ist. Eine Waldscheune mit eingestürztem Dach, die zu einem neuen Lebensraum wird, und ein Familienhaus voller sowjetischer Geschichte und sozialistischer Träume. In einem ehemaligen Familienunternehmen in Waizenkirchen steht mit weißem Stift geschrieben: „Die Zeiten ändern sich. Die Zeiten ändern dich.“ Durch die Geschichten und Erinnerungen der Bewohnerinnen und die assoziativen Verknüpfungen von Gebäuden im „postsozialistischen Raum“ und dem „ehemaligen Westen“ wird ein gemeinsamer Raum eröffnet, der zeigt, was „ländliches Europa“ heute sein könnte.
Gemeinsam mit: Rózsa, Lilla, Ivo, Katrin, Liili, Ernst, Elfriede, Susanne und Harald
Mit der Unterstützung von: Kadri Raigo, Barnabas Basci, Máté Elod Janky
Gedreht in:
Gresten, Österreich
Székesfehérvár, Ungarn
Lümandu, Estland
Waizenkirchen, Österreich
Drehbuch, künstlerische Leitung, Produktion, Kamera, Ton, Licht, Set-Assistenz, Transport, Schnitt, Farbkorrektur, Mischung und Mastering: Daniel Hüttler, Pille-Riin Jaik, Klaus Rabeder und Janina Weißengruber
Gefördert von: Österreichische Botschaft in Tallinn, Stadt Wien, BMKÖS, Land Oberösterreich
Filmessay, 16:9 Full HD, color, sound, 2020, UA / AT 25 min.
Der in der steppenhaften Landschaft der südlichen Ukraine gedrehte Filmessay verfolgt den Transformationsprozess eines leerstehenden sowjetischen Wohngebäudes. Das nach einem standardisierten sowjetischen Masterplan errichtete Gebäude wird seit Jahren von Einzelpersonen, die aus den herausgelösten Ziegelsteinen neue Architekturen schaffen, zerlegt. So zirkulieren die Spuren privater Biografien und Überreste vergangener Ideologien, die in die physischen Überreste eingeschrieben sind, in der Gemeinschaft und finden ihren Weg in neue Konstruktionen.
Ruins in Reverse thematisiert diesen Prozess der materiellen Aneignung und Wiederverwendung als eine Form der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sowie der aktiven Gestaltung der Zukunft. Im Hinblick auf die spürbare Diskrepanz zwischen den sowjetischen Infrastrukturen, die den Alltag nach wie vor prägen, sowie den massiven politischen Umwälzungen und Privatisierungen, wirft der Film die Frage auf, wie Menschen individuell und kollektiv mit solchen Asynchronitäten umgehen, wie sie zwischen den sozialistischen und kapitalistischen Ruinen navigieren und welche Formen der Reflexion und Interaktion daraus entstehen können.
2K, Farbe, Ton, 7 Min. AT, 2024
„1989-1997“ dokumentiert das leerstehende Schulgebäude in der Heimatgemeinde der Künstlerin, das sie selbst 8 Jahre lang besucht hat. Mittlerweile hat es in seiner Funktion ausgedient, seit 2020 ein neuer Schulcampus eröffnet wurde.
Die Kamera erkundet die leeren Gänge und Klassenräume, die einst mit Leben erfüllt waren, und fängt dabei die Spuren der Vergangenheit ein.
Sie spürt diffusen Erinnerungen nach: Ein Schultag – vielleicht auch ein Schuljahr; eine Unterrichtsstunde oder nur eine einzelne kleine Pause. Auf jeden Fall ein ganzer Lebensabschnitt.
Die Aufnahmen zeigen nicht nur die architektonischen Merkmale des Gebäudes, sondern offenbaren auch Codes und Symbole, die die Ideen von Schule und Bildung verkörpern.
Von den strikten Strukturen, die sich schon an der Anordnung der Tische im Klassenzimmer ablesen lassen, bis zur minutiösen Taktung des Schulalltags zwischen festen Unterrichtszeiten, abgegrenzten Schulgegenständen und Pausen; von den Orten die nur mit Erlaubnis betreten werden durften bis zum offenen Schulhof, der eigentlich als Parkplatz konzipiert wurde.
Durch die Betrachtung der verlassenen Räumlichkeiten und ihre spezifischen Agenden stellen sich Fragen nach dem Konzept von Schule und Bildung ein, nach dem, was aktiv gelehrt wird und auch nach jenen Ideen, die die Architektur selbst vermittelt.
Credits:
Konzept und Realisation: Simona Obholzer
Sound Design: Sara Pinheiro
Unterstützt von: Land Tirol Kultur
Dank an: Thomas Welte, Erasmus Hoffmann, Anna Haidegger, Katharina Swoboda
16 mm transferiert auf 2K, Farbe, stereo, Deutsch mit englischen oder französischen Untertiteln, 13 min, FR/AT, 2022
„Der weiße Bereich“ umschreibt den Ort einer Begegnung: zwischen der Filmemacherin und einer Frau, die sich entschieden hat, ohne Technologie zu leben, da diese sie krank macht. Die 76-jährige Jill muss sich den „weißen Bereich“, ihren Wohn- und Lebensraum jeden Tag aufs Neue erschaffen. Die elektrosensible Frau lebt in ihrem weißen Ford auf 1.400 m Höhe im französischen Vercors- Massif, 40 Minuten entfernt vom nächsten Dorf. In langen Fahrten erledigt sie alltägliche Besorgungen, besucht ihre Freunde und sucht mitunter stundenlang nach Orten, an denen sie keine elektromagnetische Strahlung verspürt.
Mit einer aufziehbaren Beaulieu-Kamera auf 16 mm mit gedreht, sucht dieser Film nach einer Methode des Filmemachens, die die Sensitivität seiner Protagonistin respektiert und macht daraus eine künstlerische Form. Die hyperrealistische Ton-Ebene wurde komplett im Nachhinein aufgenommen. So spürt „Der weiße Bereich“ den Kraftfeldern in Jill Dentons Lebensgeschichte ästhetisch nach.
Mit: Jill Denton
Und: Sophie Leenhardt
Dominique Rohaert
Éric Chevillard
Françoise Chevillard
Chor: Die Cantat, Chorleiterin: Monique Cieren
Konzept und Realisation: Marlies Pöschl
Voice-Over: Marlies Pöschl
Sounddesign: Florian Kindlinger
Musik: Peter Kutin
Übersetzung: Oliver Walker
Technische Beratung: Viktoria Schmid
Labor: Andec Berlin
■ DANIEL HÜTTLER, *1995, ist Künstler, Kurator und Researcher. Er wuchs in Mexiko-Stadt auf und studierte bildende Kunst an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Von 2019 bis 2020 arbeitete Daniel als Assistant-Kurator für das Projekt Hungarofuturismus bei der OFF-Biennale Budapest. zusammen mit Janina Weißengruber arbeitet er als adO/Aptive Kollektiv an lokalen sowie transnationalen und transdisziplinären Projekten, die von künstlerischen Forschungsgruppen über regelmäßige Lesegruppen bis hin zu experimentellen Theorie-Netzwerken reichen.
■ JANINA WEISSENGRUBER, *1997, studiert bildende Kunst an der Universität der Angewandten Kunst (Klasse Skulptur und Raum) und schloss 2020 ihren Bachelor in Philosophie an der Universität Wien ab. Neben ihrer eigenen künstlerischen Arbeit ist sie in kollektive Projekte wie z.B. Lesegruppen, Videoprojekte oder kooperative Performances involviert. Gemeinsam mit Daniel Hüttler ist sie Teil das adO/Aptive Kollektivs.
■ KLAUS RABEDER, *1989, ist Multiinstrumentalist in verschiedenen musikalischen Konstellationen, als auch Produzent und Mixing Engineer für Film- und Musikproduktionen. Seine Arbeiten, welche sich meist durch experimentielle Aufnahme- und Mixingtechniken kennzeichnen, werden ebenso für multimediale Installationen und Performances verwendet.
Wir verwenden die Schriftart „Suisse Int’l“, die uns freundlicherweise von Swiss Typefaces zur Verfügung gestellt wurde.